04.05.2020
Ein dumpfes, gleichwohl gut hörbares Klingeln ertönt. Im gleichen Rhythmus. Gerade nicht nervend, aber dennoch intensiv genug. Harry-Louis Beringer steht von seinem Drehsessel vor der Monitorwand auf und schreitet ruhig zum alten Stehpult mit dem Relaisstellwerk Domino 69 und gibt das Gleis 2 frei. Hier ist der Streckenabschnitt zwischen Rehalp und Neuhaus abgebildet. «Der Abschnitt Bahnhof Forch ist nicht automatisiert. Deshalb muss der Fahrdienstleiter jeweils die Zug- und Rangierfahrstrassen manuell einstellen», erklärt Peter Seiler, Leiter Betrieb und Leitstelle. Dass der Fahrdienstleiter zwischen zwei Arbeitsplätzen wechseln muss, ist aussergewöhnlich und dürfte noch bis ins Jahr 2023 so sein. 2019 wurde das Relaisstellwerk in Egg gegen ein elektronisches Stellwerk mit dem Leitsystem Iltis ausgetauscht. Davon zeugt nun die riesige Monitorwand mit insgesamt zwölf Bildschirmen, auf denen der verbleibende Abschnitt von Hinteregg bis Esslingen geregelt wird.
Die Schaltzentrale der 16,4 km langen Strecke zwischen Stadelhofen und Esslingen ist in einem Raum im Bahnhof Forch, dank Glasscheiben gut einsehbar, hinter dem Kundencenter ZVV Contact und vom Perron des Gleis 1. «Von Esslingen bis Rehalp funktioniert die Forchbahn als Eisenbahn und fährt nach Signal», sagt Peter Seiler. Das heisst, der Zug muss auf ein Signal stoppen können. «Von Rehalp bis Stadelhofen muss der Lokführer auf Sicht anhalten können», ergänzt Seiler. Auf diesem Streckenabschnitt ist die Kommunikation mit der Leitstelle der VBZ sehr wichtig. Ein Strassenbahnsystem ohne gesicherte Fahrbahn ist deutlich störungsanfälliger als ein Eisenbahnsystem, das mit Signalen gesichert ist.
«Â«Ein Fahrdienstleiter muss eine abgeschlossene Berufslehre und einen einwandfreien Leumund vorweisen.»»
In der Tat scheint es im Hirn der Forchbahn ruhig und beinahe gemächlich zu und herzugehen. Dabei ist aber stets höchste Konzentration gefragt. «Der Fahrdienstleiter muss in Nullkommanichts von 0 auf 100 funktionieren», so Peter Seiler. Und er demonstriert gleich am Domino-69-Schaltpult: «Angenommen, wir haben zur Hauptverkehrszeit eine Störung im Bahnhof Forch, und es dauert nur etwas zu lange, bis eine Lösung gefunden ist, dann stauen sich fünf Züge und sind blockiert.» Die möglichst schnelle Herstellung des fahrplanmässigen Angebots unter Berücksichtigung sämtlicher Sicherheitsbestimmungen und vor allem unter Druck steht im Zentrum.
Aus diesem Grund ist die Ausbildung wichtig. «Ein Fahrdienstleiter muss eine abgeschlossene Berufslehre und einen einwandfreien Leumund vorweisen», beschreibt Peter Seiler die Bedingungen, um überhaupt als Fahrdienstleister oder – wie man heute sagt – Zugverkehrsleiter arbeiten zu können. «Ausserdem müssen die Kandidierenden einen verkehrspsychologischen Test bestehen, bei dem unter anderem die Konzentrationsfähigkeit geprüft wird», so Seiler weiter. Auch müsse ein Fahrdienstleiter ein ausgeprägtes Dienstleistungsverständnis haben sowie ein ausgesprochener Teamplayer sein. «Und natürlich ist die Pünktlichkeit sehr wichtig.»
Angehende Zugverkehrsleiter absolvieren nach den erfolgreichen Eintrittsprüfungen, die auch eine Untersuchung bei einem Vertrauensarzt einschliesst, eine drei Monate dauernde interne Ausbildung bei der Forchbahn. Im Zentrum der theoretischen Ausbildung stehen die Fahrdienstvorschriften. «Sie regeln alles – vom Wechseln einer Lampe bis zum Schaden an einer Weiche», erzählt Peter Seiler. Geübt wird die Arbeit mit den Checklisten, die bei Störungen das unerlässliche Hilfsmittel sind, sowie der praktische Umgang mit Störungen am Stellwerksimulator. Die Ausbildung wird mit einer offiziellen Prüfung zum «Zugverkehrsleiter Forchbahn» abgeschlossen, bei der sicherheitsrelevante Punkte abgefragt werden. Um bei den SBB ein Stellwerk zu bedienen, sind die Anforderungen an die Ausbildung gar noch höher.
Die Leitstelle auf der Forch ist im Drei-Schicht-Betrieb von 4.30 Uhr bis 1.25 Uhr besetzt. «Als erstes fährt der Fahrdienstleiter am Morgen die systemrelevanten Systeme hoch: Stellwerk, Strom und Kommunikationseinheiten», erklärt Peter Seiler. «Dann kontrolliert er, ob die Strecke auf dem System frei ist.» Schon um 4.40 Uhr verlässt der erste Zug, noch als Dienstzug, das Depot Richtung Esslingen. Es liegt überdies in der Verantwortung der Leitstelle in Koordination mit dem Sicherheitschef vor Ort, Baustellen- oder Streckensperrungen einzurichten. Bei Störungen führt der Fahrdienstleiter das Fahrpersonal anhand der Checklisten und informiert die Fahrgäste an den Bahnhöfen entlang der Strecke. Die Ansagen in den Zügen macht der Lokführer.
Die Kommunikation mit den Fahrgästen im Störungsfall stellt eine grosse Herausforderung dar. Im Moment verfügt die Forchbahn noch nicht über die heute üblichen Kommunikationsmittel an den Haltestellen. Dies wird sich erst mit der vollständigen Inbetriebnahme der neuen Sicherungsanlage Ende 2023 verbessern. Im Moment erfolgen manuelle Durchsagen über die Lautsprecheranlage. «Wir bitten unsere Fahrgäste um Verständnis, wenn eine Information im Störungsfall nicht sofort erfolgt», sagt Peter Seiler. «Es gilt ein klarer Ablauf: An erster Stelle steht immer die Sicherheit des Zugverkehrs. Danach wird je nach Störungsfall über ein Fahrkonzept entschieden und schliesslich erfolgt die Fahrgastinformation.»
In der Schaltzentrale klingelt es wieder. Seiler steht ohnehin bereits am Domino-69-Schaltpult und gibt die Fahrstrecke für Gleis 1 frei; wenig später senken sich die Barrieren und der Zug fährt in den Bahnhof. Rund 10 bis 20 Mal pro Stunde müsse eine Zug- oder Rangierfahrstrasse eingestellt werden. «Während der Hauptverkehrszeiten ist die Leitstelle doppelt besetzt», sagt er. Vor allem im Störungsfall brauche es mindestens zwei Personen, um möglichst schnell wieder einen regulären Betrieb herzustellen. Dies ist glücklicherweise eher die Ausnahme. «Im Durchschnitt sind es zwei bis fünf Störungen pro Tag, bei der die Leitstelle aktiv eingreifen muss», berichtet Seiler. Die Bandbreite reicht dabei von defekten Abfalleimern an einer Haltestation bis zu Fahrzeugstörungen, Türdefekten oder Probleme bei Barrieren. Ein Knacken – eine blecherne Stimme tönt aus dem Lautsprecher. Ein Depotmitarbeiter braucht eine Rangierfahrstrasse, um einen Gerüstwagen zu rangieren. Seiler gibt das Gleis 4 frei und meldet die freie Strecke per Funk zurück. «Danke», tönt es aus dem Lautsprecher. Kurz darauf fährt der Gerüstwagen, angetrieben vom blauen historischen Forchbahnfahrzeug, auf Gleis 4 vorbei.