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Frieda-News

«Ein Kamel braucht Liebe»

25.10.2020

Auf der Fahrschule mit der Forchbahn: Zu den besonderen Herausforderungen auf der 16,4 km langen Strecke zwischen Stadelhofen und Esslingen gehört, dass manchmal Sand hilft.

Der Zug stoppt brüsk zwischen den Haltestellen Zollikerberg und Spital Zollikerberg. Forchbahn-Lokführer Robin Witschi greift zum Funk: «Forch Leitstelle von Zug 908.» – «Zug 908, verstanden.» – «Wir hatten eine Zwangsbremsung beim Signal D2.» – «Verstanden. Habt ihr weitere Störungen?» – «Verstanden. Nein, keine weitere Störungen.» – «Verstanden. Füllt den Meldezettel aus und stellt die Störung zurück.» – «Verstanden, Zettel ausfüllen und Zwangsbremsung zurückstellen.» Wenig später setzt die Forchbahn ihre Fahrt Richtung Stadelhofen fort. Der Notstopp vor dem Rotlicht war aber kein richtiger Zwischenfall, sondern von Fahrlehrer Tom Murer so gewollt. «Unser Credo ist, dass die Fahrschüler möglichst viel selbst erleben. Wer einmal von einem Rotlicht gebremst wird, wird das nicht mehr vergessen», erklärt Murer, der seit 2007 bei der VBZ und der Forchbahn Fahrschülerinnen und Fahrschüler ausbildet.

Bei der Forchbahn dauert die Ausbildung zum Lokführer vier Wochen. Jeweils am Vormittag gibt es einen Theorieblock sowie einen praktischen Teil im Depot zum Thema Technik. Am Nachmittag geht es auf die 16,4 km lange Strecke zwischen Esslingen und Stadelhofen. In der Mittagspause diskutieren die Fahrschüler mit ihrem Ausbildner im Aufenthaltsraum des Hauptgebäudes auf der Forch. Robin Witschi wurde über die Internetseite auf das Stelleninserat «Fachspezialist Schienenfahrzeuge» auf die Forchbahn aufmerksam: «Ich absolvierte die Lehre bei den SBB und schaute mich um. Beim Inserat der Forchbahn gefiel mir die familiäre Atmosphäre, die schon auf den ersten Blick vermittelt wurde, und dass die Lokführer-Ausbildung Bestandteil ist. Ich will die Fahrzeuge nicht nur flicken, ich wollte sie auch fahren.»

Kurz nach 12.30 Uhr steigt Robin Witschi in den Führerraum der Be 8/8-Komposition mit Steuerwagen im Depot. Die erste Runde bis zum Bahnhof Stadelhofen und zurück ist seine Tour. Routiniert rüstet er das Fahrzeug auf, meldet sich bei der Leitstelle für das Rangiermanöver, um vom Gleis 71 im Depot auf Gleis 4 des Bahnhofs zu gelangen, wo der Ausgangspunkt für die Lernfahrt ist. Doch kurz nach der Ausfahrt aus dem Depot macht sich eine Störung hörbar bemerkbar. Das Fahrzeug muss neu positioniert werden – und ein Störungsrapport ist auszufüllen. Tom Murer hatte die kleine Stolperfalle noch vor dem Mittagsrast programmiert. «Solche Simulationen erlauben es, Probleme, die später im Alltag auftauchen können, 1:1 als Erlebnis durchzuspielen», so der ausgebildete Fahrlehrer.

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Christian Steffen ist auf der ersten Runde an diesem Nachmittag aufmerksamer Beobachter in der ersten Sitzreihe hinter der Führerkabine. Er trat vor Kurzem bei der Forchbahn die Stelle als Fachspezialist Bahnproduktion an und blickt auf eine langjährige Karriere als Bähnler zurück. «Ich machte die Lehre als Kondukteur bei der Rhätischen Bahn und arbeitete später in der gleichen Funktion bei der Südostbahn», erklärt er. Bei der SOB bildete sich Steffen zum Disponent weiter und arbeitete später auch in der Planung. Lokführer sei zwar kein Bubentraum gewesen, aber die Abwechslung gefalle ihm. Er wird dereinst auch in der Leitstelle arbeiten. «Ich schnupperte einmal zwei Tage auf der Zugleitstelle in Samedan und erinnerte mich, dass grün ‹nach links› und blau ‹nach rechts› bedeutete», erzählt er und schiebt mit einem Lachen nach: «Aber ich habe gesehen, dass die Farben hier andere sind – dieses Wissen hilft mir also nicht.»

Robin Witschi fährt um die Schlaufe beim Stadelhofen herum und hält perfekt auf der Höhe der Bodenmarkierung auf dem Perron. Er macht alles bereit für die Fahrt zurück Richtung Forch. Langsam dreht er am Kontroller und die Komposition setzt sich in Bewegung Richtung Trassee auf der Kreuzbühlstrasse, als sich die Leitstelle meldet: «Bei uns hat sich ein Fahrgast gemeldet, der aus Versehen in den Zug gestiegen ist und nun nicht mehr aussteigen kann.» Christian Steffen blickt verdutzt in den hinteren Wagen – und tatsächlich: Da steht ein Mann mit Hut. Robin Witschi lässt ihn an der Haltestelle Kreuzplatz aussteigen.

Tom Murer lobt seine beiden Fahrschüler: «Man merkt, dass sie schon eine gewisse Bahn-Erfahrung haben. Es ist nicht der Regelfall, dass wir schon am siebten Tag der Fahrausbildung funken und Signale melden.» Neben der hohen Lernfähigkeit betont Murer die Konzentrationsfähigkeit als grosse Herausforderung. «Sowohl auf dem Netz der Forchbahn mit einem Fahrbetrieb nach Signalen wie auch in der Stadt auf dem VBZ-Netz ist eine enorm hohe Aufmerksamkeit gefragt», sagt er. Man müsse voraussehen und voraus denken. «Mir ist es wichtig, dass die Lokführer lernen, das Fahrzeug kundenfreundlich zu bedienen.»

Die Fahrt durch die Stadt ist anspruchsvoll; die Augen müssen quasi überall sein. Autos, Velos, Fussgänger – die Gefahren sind vielseitig und können urplötzlich aus dem Nichts auftauchen. Gerade im Umfeld von Baustellen. Oder wenn die VBZ-Leitstelle einen Schaden an der Fahrleitung Trolleybus beim Hegibachplatz meldet. «Wir müssen die Fahrleitung unterfahren», erklärt Tom Murer. «Das bedeutet, dass wir vor der Schadenstelle kurz stoppen, den Hauptschalter bedienen und den Bügel tief nehmen, damit wir nicht an der defekten Leitung hängenbleiben.» Gesagt, getan.

Bei der Station Rehalp beginnt nun wieder das Forchbahn-eigene Netz mit Signalverkehr und gesteuert über die drei Stellwerke in Zollikerberg, Forch und Egg. Auch der linke Spiegel wird wieder ausgeklappt. Robin Witschi dreht den Kontroller auf 25 km/h; langsam setzt sich der Zug in Bewegung. Doch plötzlich stoppt der Zug und rollt gar langsam rückwärts und abwärts. 69 Promille beträgt die maximale Steigung; für die Komposition Be 8/8 mit Steuerwagen, liebevoll Kamel genannt, eine ziemliche Herausforderung. Tom Murer betätigt die Schienenbremse. Nun versucht es Witschi mit dem Kontroller auf 30 km/h. «Und immer wieder etwas Sand dazugeben, um die Adhäsion zu verbessern», rät Murer. «Ganz fein; ein Kamel braucht Liebe.» Es funktioniert; die «Frieda» ächzt zuerst langsam und nimmt dann zusehends Fahrt auf. Wieder etwas gelernt in der Fahrschule. Und wie es Tom Murer sagt: «Wer Anfahren und Anhalten mit dem Kamel beherrscht, der beherrscht es auch mit den anderen Fahrzeugen.»

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